Über 12 Monate hinweg hat sich das MUNICH DIGITAL INSTITUTE mit den neusten Trends der Gesundheitskommunikation im Web auseinandergesetzt. Anhand von 2.500 Suchmaschinen-Begriffen und über 100.000 soziale Konversationen haben wir das Informations- und digitale Mediennutzungsverhalten deutschsprachiger Internet-Nutzer zu gesundem Lebensstil ausgewertet. Hier die Quintessenz unserer Erkenntnisse, die Lust auf Daten und Facts machen.
München, Oktober 2015. Kein Gesundheitsthema ist für die deutschen User im Web zeitgleich so zentral und so unangenehm wie die Frage danach, wie sie ihr Gewicht reduzieren können. Abnehmen durch Ernährungsumstellung – Das ist in der anonymen Google Suche längst ein Mega-Trend, in den sozialen Medien dagegen eher ein Tabu-Thema. Insgesamt befassen sich 40 % aller Suchanfragen zur gesunden Lebensführung und 65 % aller Beiträge in sozialen Konversationen ganz allgemein mit dem Thema Ernährung. Die Vorstellung, die eigene Gesundheit über sportliche Aktivitäten zu steuern, stößt dagegen bei den Deutschen auf deutlich weniger Gegenliebe: Nur etwa 22 % aller Beiträge zur gesunden Lebensführung behandeln in den sozialen Medien das Thema Fitness, in der Websuche sind es sogar nur 10 %.
Um die eigene Ernährung zu verbessern, liegen Ernährungs- und Diätpläne besonders hoch im Kurs. Jede vierte Suchanfrage im Bereich Ernährung dient dazu, kostenfreie Diätpläne im Netz zu finden. Vor allem kalorienarme Kochrezepte und Diättagebücher erfreuen sich dabei großer Beliebtheit. Aber auch alternative Ernährungsweisen wie vegane oder vegetarische Ernährung sowie Bio- und Local-Food werden noch in etwa jeder fünften Suchanfrage abgerufen. Suchanfragen zu Sportnahrung und Muskelaufbaupräparaten bilden dagegen die Ausnahme – mit nur 3 %.
Im Social Web über eigene Diätpläne zu sprechen, scheint dagegen für deutsche Webnutzer eher ein Tabu-Thema zu sein: Nur etwa 10 % der sozialen Konversationen thematisieren konkrete Diät- und Ernährungspläne. Ist man unzufrieden mit seinem eigenen Körper, sucht man lieber anonym nach Lösungen in der Websuche. So steht auf Facebook die Diskussion über Nähr- und Produktinhaltsstoffe im Vordergrund, andererseits aber auch der Erfahrungsaustausch über eine mögliche Vorbeugung von Krankheiten durch eine ausgewogene Ernährung (ca. 1/3 der Gespräche). Beispielsweise spenden sich Webnutzer in eigenen Communities gegenseitig Trost und tauschen Ernährungs-Ratschläge aus, wenn eine Prädisposition zur Erkrankung vorliegt.
Das Interesse an gesunder Ernährung im Web ist demnach immens. In der Suche ebenso wie in den sozialen Medien. Doch der bevorzugte Kanal, wenn es um überflüssige Pfunde geht, bleibt die Google Suche – intim, anonym, vertraulich.
Das Webinteresse an gesunder Ernährung schlägt sich auch in konkretem Kaufverhalten nieder, denn die Deutschen sind mehrheitlich bereit, in ihre Gesundheit zu investieren. 2014 waren die Verbraucher überwiegend gewillt, Preiserhöhungen im Austausch für gesteigerte Qualität hinzunehmen: Rund 44 Mio. deutsche Verbraucher gaben im Jahr 2014 an, dass sie gesunde Lebensmittel bevorzugen, auch wenn es mehr kostet. Nur die Minderheit duldet keine Erhöhungen.
Ernährung wird nachhaltiger, bewusster, respektvoller, moralisch vertretbarer. Und das Bewusstsein darüber, welche Produkte tatsächlich moralisch vertretbar sind, wird vermehrt durch Apps & Blogs beeinflusst. Mobile Apps durchdringen den Einkaufsalltag und sind wesentliche Influencer dafür, wie viel Geld der Verbraucher später an der Kasse für das ausgewählte Produkt auszugeben gewillt ist.
Das ‚kuratierte Einkaufen‘ soll durch mobile Anwendungen, wie z.B. mobile Shopping-Guides oder durch soziale Austauschplattformen, der Orientierungslosigkeit im Produktdschungel entgegenwirken. Doch nicht nur im Supermarkt selbst, auch im E-Commerce gewinnt bewusste Ernährung enorm an Bedeutung. Convenience heißt das treibende Schlagwort: Lieferservices und Online-Shops mit gesundem Angebot sind im Kommen. Das beweist auch der Erfolg von zahlreichen Best-Practice-Angeboten wie Ökokiste oder FOODIST HEALTHY BOX.
Das digitale Gesundheitsbewusstsein der 2010er geht so weit, dass LSP Digital in ihrer Studie Vermessung digitaler Konsument 2015 insgesamt 5 % der 5.046 befragten deutschen Online-Nutzer im Alter von 18-69 als ‚digitale Hypochonder‘ klassifiziert. Dieser Webuser-Typus besitzt ein überdurchschnittliches Interesse an E-Health-Angeboten– z.B. Smart-Tracking-Systemen, Gedächtnistrainings oder digitalen Diagnoseangeboten. Besonders hoch im Kurs: Rezepte zur gesunden Ernährung (29 %), Informationen über medikamentöse Nebenwirkungen (24 %) und die Suche von medizinischen Informationen (20 %). Bei einem solchen Interesse seitens der digitalen Verbraucher verwundert es nicht, dass die Marktforschung von einem Boom der Branche spricht, insbesondere im Bereich personalisierter Digital-Health-Produkte. Allein in den USA wird laut eine Absatzsteigerung von über 600 % binnen 5 Jahren erwartet. 2018 sollen über 6 Mio. eHealth-Produkte verkauft werden.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Gesundes Online-Shopping, insbesondere im Bereich Ernährung, liegt im Trend. Nun müssen Händler mit mobilen Angeboten nachziehen, um der Convenience der Verbraucher gerecht zu werden.
Händler haben gegenüber Herstellermarken eine deutliche informationelle Vormachtstellung inne, wenn es um das Thema gesunde Ernährung geht. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass die Digitalisierung auch vor dem täglichen Gang zum Supermarkt keinen Halt mehr macht. Längst werden Produkte des täglichen Bedarfs auch im Netz über die Online-Shops der Händler erworben. Das revolutioniert die Bewerbungsmöglichkeiten von händlereigenen Marken.
Ein Beispiel: Bei einem traditionellen Einkaufsbummel im Supermarkt konkurriert auch heute noch das GUT&GÜNSTIG-Kartoffelpüree im Einkaufsregal sichtbar mit den teureren Alternativen von Maggi oder Pfanni. Bei routinierten Käufen gilt der habitualisierte Griff des Kunden meist zuletzt den beiden lang vertrauten, wenn auch teureren Herstellermarken. Die Online-Shops der Händler heben dieses tradierte Kaufverhalten heutzutage auf, indem hauseigene Produkte besser platziert werden. Auf den Internetpräsenzen der Händler konkurriert das Kartoffelpüree der Eigenmarke nun nicht mehr sichtbar mit den Herstellermarken, sondern wird über die Suchfunktion bevorzugt gefunden oder kann durch das Navigationsmenü schneller angesteuert werden.
Doch neben dem habitualisierten Kaufverhalten haben die Händler verstärkt auch das informierte Kaufverhalten unter Kontrolle. Durch die Aufnahme breiter Bio-Produktpaletten, dem Angebot von Local Food und der Bereitstellung vegetarischer Ersatzprodukte kommunizieren die großen Handelsketten besonders im Bereich Ernährung immer stärker im Rahmen des Kontextes Gesundheit. Den eigenen Bio-Produktreihen entsprechend passen Großhändler wie REWE oder EDEKA längst die eigenen Markenbotschaften an: Das REWE Magazin erklärt, welche Ernährungsweise wirklich gesund ist und kritisiert mit Süßigkeiten gefüllte Schultüten; das EDEKA Kochstudio und der von EDEKA gesponserte YouTube-Kanal yumtamtam liefert Kunden Rezeptideen zur gesunden Selbstversorgung.
Bio und kleiner Preis - lange Zeit wurden beide Begriffe als Antonyme benutzt. Doch gesunde Ernährung ist für die Großhändler längst kein Luxus mehr. Ihre Botschaft: Mit hauseigenen Marken ist gesunde Ernährung auch preisgünstig zu haben. Da können Herstellermarken vielfach nicht mehr mithalten. Das lässt erstens die Authentic Brands 2014 Study vermuten, deren Ergebnisse zufolge Händlern wie keiner zweiten Branche Vertrauen durch den Verbraucher entgegengebracht wird. Zweitens erhärtet sich diese Vermutung, wenn man einmal das Verhalten der Webnutzer bei Fragen zu Gesundheit und Ernährung bzgl. Herstellern und Händlern in den Abgleich stellt.
Dann nämlich wird ersichtlich, dass REWE wirklich ein absoluter Top-Performer im Web ist. Der Konzern wird sogar doppelt so häufig im Zusammenhang mit Gesundheitsthemen in der Websuche abgerufen wie sein größter Rivale EDEKA. Hersteller sind dagegen entweder im Web zu Gesundheitshemen schlicht nicht sichtbar – so zum Beispiel Mars und PepsiCo – oder aber in extrem negativem Kontext – wie zum Beispiel Danone und Nestlé.
Im Jahr 2015 müssen Hersteller in den Köpfen der Verbraucher so präsent und positiv besetzt sein, dass ihre Produkte nicht nur im Regal rein habituell ausgewählt, sondern auch im Online-Shop gezielt angesteuert werden. Der Schlüssel sind Social Media Initiativen: Während die Händler vor allem von Online-Medien begünstigt werden, können die Hersteller noch beim Konsumenten selbst durch das Social Web punkten. Dies zeigen beispielsweise die englischsprachigen Seiten von Mars und Kraft Foods (umfirmiert in Mondelēz), bei denen die Unternehmen in ihren Social-Media-Communities hohes Ansehen genießen – höheres Ansehen als REWE und EDEKA bisher im eigenen Social-Media-Auftritt erlangen konnten.
Auch wenn Fitness als Gesundheitsfaktor im Kopf der deutschen Webnutzer deutlich weniger präsent zu sein scheint als das Ernährungsverhalten: Letztlich trackt etwa ein Drittel aller 18- bis 35-jährigen Deutschen die eigenen Fitness-Leistungen über Wearables. Deutsche seien dennoch eine schwierige Zielgruppe, heißt es aus Fachkreisen, denn der typische Deutsche sei äußerst datensensibel. Entsprechend zeigen aktuelle Studien, dass die Angst vor "Datensammel-Maschinen" tief verwurzelt ist. 77 % der Befragten zwischen 35 und 55 lehnen Smartwatches und ähnliche Produkte nach wie vor ab. Ein Grund: datenschutzrechtliche Bedenken.
Doch das Surfverhalten der deutschen User spiegelt diese Daten-Skepsis nicht wider. Nachfragen zu datenschutzrechtlichen Aspekten der Wearables werden im Web nur selten gestellt - die Google Suche wird gar nicht erst bemüht. Nicht einmal im Social Web schaffen es die Tracking-Bedenken unter die Top-5 Gesprächsthemen im Zusammenhang mit Sport. Immerhin wird hier überhaupt darüber diskutiert.
Wenn es demnach um Drittanbieter und bequeme Apps wie RUNTASTIC oder Runkeeper geht, so verfliegen datenschutzrechtliche Bedenken sehr schnell. Stattdessen wird im Social Web gerne über die eigenen sportlichen Leistungen diskutiert und gepostet: Fitness ist das zweitwichtigste Gesundheitsthema im Social Web, in der Websuche erreicht es nur Rang 4 von 5. Mit den richtigen Anreizen sind die Webnutzer sogar bereit, online Zeitbudget, Streckenverlauf und Kalorienverbrauch ihrer letzten Trainingseinheit zu veröffentlichen. Eine Erklärung für den freigiebigen Umgang mit den persönlichen Gesundheitsdaten im Social Web kann darin vermutet werden, dass auf sozialen Profilen nach Anerkennung für eigene sportliche Aktivitäten gesucht wird.
Es erscheint befremdlich, dass Daten, die sonst selbst der eigenen Krankenversicherung nur unter Bauchschmerzen überlassen werden, plötzlich frei im Web verfügbar sind und freiwillig an Großunternehmen abgetreten werden. Beispielsweise ist Adidas seit August 2015 der Hauptanteilseigner an der begehrten Fitness-App RUNTASTIC und löst damit den Axel Springer Verlag ab. Dass die gesammelten Daten künftig für Marketing und Produktentwicklung genutzt werden, ist absehbar. Dennoch folgte kein Aufschrei der Webuser; am Ende zählt doch nur die Convenience der App. So greifen die Nutzer umso häufiger auf das Angebot zurück, je unkomplizierter die Schnittstelle zwischen Smart Devices und Social Media gestaltet ist. Fitness-Apps wie RUNTASTIC oder RunKeeper erlauben es, Daten in sekundenschnelle und mit nur einem Knopfdruck zu teilen. Ein Knopfdruck – Das ist wenig Zeit, um darüber zu reflektieren, wie, von wem und zu welchem Zwecke die geposteten Daten im Anschluss weiterverwendet werden.
Das Informationsangebot zu Gesundheit und Ernährung wird im Web deutlich von drei großen, gesetzlichen Playern dominiert: Techniker Krankenkasse, Barmer GEK und AOK. Diese drei Kassen sind nicht nur Social-Stars und Medienlieblinge, wenn es um Gesundheitsthemen geht, sie führen setzen sie auch im Bereich Fitness auf innovative Technik und bieten erste Bonusprogramme für Wearables.
Dass vor allem die privaten Versicherer unter dem Zuwachs der drei großen gesetzlichen Kassen leiden, zeigt sich in der Websuche. Gesetzliche Krankenversicherer performen in jeder Hinsicht besser als die privaten. Zum einen sind die Krankenkassen in der Websuche besser sichtbar, zum anderen werden sie im Zusammenhang mit gesundheitlichen Fragen in der Websuche rund drei Mal häufiger gezielt angesteuert. Die Techniker Krankenkasse wird sogar rund zwanzig Mal häufiger angesteuert. Hier spielen auch die hohen Versichertenzahlen der Gesetzlichen eine wichtige Rolle: Da der Google-Suchalgorithmus Websites mit hohem Traffic im Suchranking aufwertet, entsteht eine Aufwärtsspirale. Hohe Versichertenzahlen sorgen bei den gesetzlichen Krankenkassen für gute Sichtbarkeit im Web, die gute Sichtbarkeit für hohe Versichertenzahlen.
Um den gesetzlichen Krankenkassen im Web standzuhalten, müssen die privaten Krankenversicherer sich von ihrem bisher eher angebots-getriebenem Marketing lösen. Im Kampf um Marktanteile werden sie stärker in relevante inhaltliche Kommunikation investieren müssen, insbesondere in eine kontextuelle Informations-Ebene. Krankenversicherer müssen zur ganzheitlichen Anlaufstelle bei Themen rund um einen neuen Gesundheitsbegriff werden, der viel weiter greift als bisher: Gesund sein heißt Wohlbefinden in allen Lebenslagen. Verzichten Krankenversicherer zukünftig darauf, über die bloße Leistungsdarstellung hinaus zu gehen, werden sie das verschenkte Potenzial in der Kundenbindung und Vertrauensbildung stärker denn je zu spüren bekommen. Schon jetzt zeigt sich, dass das Internet die Rolle der Versicherungen als Informationsinstitution längst überholt hat und die Konkurrenz der Einflussnehmer steigt. Mit einem konkreten Informationsangebot muss diesem Trend gezielt entgegengesteuert werden.
Autorin: Lara Kobilke