Wieder einmal hat Facebook signifikante Veränderungen im Newsfeed Algorithmus angekündigt. Die Marketingbranche ist aufgeschreckt und sucht nach Antworten. Was bedeuten die neuerlichen Änderungen und haben diese echte Konsequenzen für das digitale Marketing?
München, Januar 2018. Zunächst einmal sei vorangestellt: Facebook geht seinen Weg konsequent weiter. Seit Jahren sinkt die organische Reichweite von Beiträgen über Fanpages. Mark Zuckerberg macht im neuesten Statement unmissverständlich klar, dass Facebook diese Linie weiter verfolgen wird. Wer wissen möchte, was das konkret bedeuten kann, der muss nur einen Blick auf das werfen, was Facebook in anderen Märkten bereits testweise ausgerollt hat: Das vollständige Auslisten aus dem klassischen Newsfeed scheint ein realistisches Szenario zu sein. Ob Inhalte von Fanpages dann in einem „Explore Feed“ landen oder nicht, ist ein Teil der Diskussion.
Man sollte das PR-Statement von Mark Zuckerberg einfach mal kritisch lesen: “As we roll this out, you'll see less public content like posts from businesses, brands, and media. And the public content you see more will be held to the same standard -- it should encourage meaningful interactions between people.”
Was der Facebook CEO hier unterschlägt: Nach wie vor haben Betreiber von Fanpages die Möglichkeiten, “public content” über werbliche Buchungen jederzeit an jeden Nutzer innerhalb von Facebook auszuspielen. Bei jedem Posting schlägt Facebook einem Page-Admin sogar aktiv vor, den eigenen Beitrag doch zu bewerben. Erst nach einer Entscheidung über diese Option geht der Post live. Dies dürfte auch nicht überraschen, denn bei aller Facebook-PR geht es letztlich um eines: Wie kann Facebook seine Plattform weiterhin mit steigenden Einnahmen versehen ohne dabei die Nutzer zu verschrecken und somit perspektivisch Relevanz zu verlieren. Das ist der Balance-Akt, den Facebook täglich zu lösen hat.
Die neuesten Entwicklungen werden innerhalb der Marketingbranche als gut oder schlecht bewertet und mit verschiedenen Konsequenzen interpretiert. Wir beleuchten die Argumente an dieser Stelle.
Fakt ist: Wenn ich kostenlose organische Reichweite über Push-Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht mehr bekomme, dann muss ich mich intensiver darum kümmern, Nutzer an mich zu binden. Diese werden dann eher interagieren. Wenn Facebook Inhalten mehr Sichtbarkeit gibt, die stärkeres Engagement befördern, dann scheint dies logisch. Nur: Der Startpunkt für Engagement ist ausgespielter Content. Wenn dieser gar nicht erst Sichtbarkeit bekommt, dann entsteht hier auch kein Engagement. Nutzer kommen in Facebook von allein nicht mehr auf Fanpages. Der Anteil von direkten Besuchern einer Fanpage nach einem ersten Page-Like liegt im Schnitt bei unter einem Prozent. Sprich: Es wird nur gesehen, was in den Feed kommt. Ist da nichts, dann existiert der Inhalt schlichtweg nicht für die Nutzer.
Die Formel lautet zudem bei Vielen: „Wenn Ihr keine Interaktionen bekommt, dann habt Ihr ein schlechtes Community Management!“ Das ist wohl etwas kurz gesprungen. Denn Community Management auf Facebook funktioniert nicht zwangsläufig so wie außerhalb. Nutzer diskutieren Gesundheitsthemen beispielsweise ungern auf einer öffentlichen Plattform wie Facebook, auf der sie mit Arbeitskollegen, Familienmitgliedern und in vielen Fällen auch Klarnamen unterwegs sind. Der Content ist dennoch hochrelevant. Gleichzeitig sind Plattformen wie gutefrage.net, Netdoktor und weitere Foren voll von anonymen Nutzern, die Kontakte und Hilfe suchen. Dies sind sehr aktive Communities. Wie soll nun also eine relevante Marke etwas zum Thema Inkontinenz auf Facebook kommunizieren? Sie wird mit diesem Thema so gut wie keine Interaktionen bekommen, will es aber vielleicht auch nicht werblich ausspielen?
Facebook schlägt Page-Admins mittlerweile aktiv begleitende Gruppen zu den Fanpages vor. Aus der Facebook-Innensicht ein nachvollziehbarer Schritt. Dies lässt sich durchaus interpretieren als Hinweis darauf, dass die kostenlose Community über die Fanpages nicht mehr zu haben ist, sondern vielmehr über alternative Formate in Facebook gesucht werden muss.
Vor allem mit Blick auf Bestandskunden-Kommunikation oder Multiplikatoren (auch interne) können Gruppen eine relevante Option sein. Darüber hinaus haben Marken aber das Interesse, öffentlich zu wirken. Gruppen aber sind in sich geschlossen Nutzerkreise, selbst dann wenn sie allen Nutzern theoretisch offen stehen. Es war aber mal das Versprechen von Facebook: Öffentlicher Dialog und damit virale Effekte hin zu anderen Nutzern. Genau das war der Added Value. Gruppen in der Logik von Foren gibt es auch außerhalb von Facebook.
Die Frage wird für Marken also sein: Brauche ich Facebook, um geschlossene Nutzerkreise aufzubauen oder mache ich das nicht gleich im eigenen Haus?
Eine Konsequenz daraus wäre dann Paid Social. Also Mediabuchung als logischer Teil der Kommunikation. Stimmt das? Fakt ist: Facebook hat in den letzten Jahren die Werbeerlöse überproportional zu den Nutzerzahlen gesteigert. Sprich: Die Werbeinnahmen sind nicht vornehmlich Ergebnis organischen Nutzerwachstums sondern pro Nutzer verdient Facebook auf der Plattform von Quartal zu Quartal mehr. Jeder von uns dürfte diese Entwicklung über seinen eigenen Newsfeed in den letzten Jahren erfahren haben. Wir sehen mehr Werbung, weniger organische Page-Inhalte, weniger Beiträge von Freunden.
Neben den klassischen Werbeformaten hat Facebook mit den Promoted Posts eine Möglichkeit geschaffen, Beiträge über Targeting in den Newsfeed der Nutzer zu spielen. Dies war vor allem deshalb nötig, weil bei mobiler Nutzung klassische Ad-Formate dem Nutzer gar nicht angezeigt werden. Facebook muss also über den Newsfeed monetarisieren. Allein: Die Qualität des Facebook Targetings lässt noch viel Luft nach oben. Stand heute geben Marken einen ordentlichen Teil ihrer Mediabuchungen auf Facebook für das Erreichen völlig irrelevanter Nutzerkreise ohne jeglichen sozialen Kontext aus. Es sei fairerweise angemerkt, dass dies im Online-Marketing aber überall so ist.
Mit Blick auf die oben schon erwähnte Notwendigkeit, Inhalte überhaupt erstmal in den Newsfeed der Nutzer zu bekommen, ist davon auszugehen, dass Paid Social einen weiteren Schub erfahren wird. Es ist also zumindest zweifelhaft, dass Facebook das erreicht, was Zuckerberg offiziell sagt, nämlich mehr Content von privaten Nutzern im Vergleich zu Business. Es ist allerdings auch zweifelhaft, dass dies überhaupt das Ziel von Facebook ist.
Dieses Mantra gibt es, seit Facebook begonnen hat, organische Reichweite zu beschneiden. Mit Blick auf Paid Social kann guter Content die Werbebuchung nicht obsolet machen, sondern nur die Reichweite pro Buchung steigern. Voraussetzung ist, dass der Facebook Algorithmus werblich gebuchtem Content überhaupt zusätzliche virale Reichweite gibt, wenn dieser Interaktionen nach sich zieht. Hier ist Spielraum für Spekulationen.
Nun kann man diskutieren, was „guter Content“ ist. Nach Facebook-Logik ist es „Engaging Content“. Mark Zuckerberg: „On the other hand, passively reading articles or watching videos -- even if they're entertaining or informative -- may not be as good.”
An dieser Stelle wird es für Marken bzw. Unternehmen etwas „tricky“. Denn aus ihrer Sicht muss guter Marken oder Corporate Content nicht zwingend auch engaging sein. Um starke Interaktionen auf Facebook hervorzurufen, muss man auffallen, muss Trigger setzen, die Nutzer bewegen, sich zu beteiligen. Bei Medien sind das zugespitzte Headlines. Bei Marken sind das zunehmend spitzere oder kontroverse Aussagen oder direkte Call-to-actions. Manche Marken können das aus ihrem Markenbild heraus. Andere Marken tun sich hier schwerer.
Facebook selbst hat Videoformaten in den letzten Monaten bewusst mehr Sichtbarkeit gegeben. Ziel war es ganz sicher, Marken dazu zu bringen, ihre Bewegtbild-Kommunikation von YouTube auf Facebook zu verlagern. Rund um Videocontent ergibt sich für Facebook eine neue Möglichkeit, Werbung auszuspielen. Nur: Wenn das passive Konsumieren von Videos für Facebook nach eigenen Aussagen „nicht gut“ ist, was ist dann die Erwartung an Marken bzw. Nutzer. Wer schon mal ein Video über sein Smartphone abgespielt hat weiß, dass man es hochattraktiv finden kann, ohne damit weiter zu interagieren. Für eine Marke wäre der Konsum (vor allem wenn von Anfang bis Ende) erstmal ein Erfolg. Nun müssen sie diesem Content wohl eine Art Call-to-action verpassen. Ob die Nutzer das mitgehen, bleibt erst einmal offen.
Ein Hinweis darauf, dass Facebook solche Call-to-actions wiederum verhindern will (evtl. um virale Reichweite zu begrenzen) ist das Vorgehen gegen das sogenannte „Engagement Baiting“. Es wird deutlich: Facebook zieht die Daumenschrauben an und gibt Marken zunehmend weniger Möglichkeiten, Engagement taktisch zu forcieren.
An dieser Stelle soll es nicht um das Influencer Marketing in seiner Sinnhaftigkeit grundsätzlich gehen. Interessant wird es aber, wenn reichweitenstarke Influencer oder auch Testimonials (z.B. Sportstars) selbst zahlen müssen für die bisher organische Reichweite auf Facebook. Und wenn man weiter in die Zukunft schaut, dann könnte dies mittelfristig ja auch für Instagram Accounts gelten. Damit würde die Influencer-Buchung zu einem echten Mediapaket (was es ja heute teilweise auch schon ist). Wird die Kombination aus Influencer und Reichweite noch teurer, dann werden auch Marken genauer überlegen, ob dies eine effiziente Maßnahme im Vergleich zu anderen Online Marketing-Maßnahmen wie Social Ads, Programmatic, Retargeting, SEM/SEA, Display Ads ist.
Konkretes Beispiel: Nike braucht Cristiano Ronaldo bisher, damit dieser die Produkte über seinen globalen Account mit Millionen-Reichweite kommuniziert. Dafür zahlt Nike entsprechende Summen. Geht dies nur noch rein werblich, dann kann Nike die Buchung auch direkt über seine Kanäle machen. Den Content mit Ronaldo bekommt man vertraglich auch so.
Die Ableitung „Jetzt erst recht Influencer Marketing“ erscheint von daher nicht logisch. Im Gegenteil: Das Influencer Marketing könnte unter dieser Entwicklung leiden.
Interessanter ist da schon das Thema Personal Branding bzw. Mitarbeiter als Markenbotschafter. Aus Sicht des Facebook Algorithmus spricht viel dafür, dass viele Mitarbeiter über ihre persönlichen Profile (nicht Pages) und auch über Facebook hinaus wertvolle Markenbotschafter sein können. Es ist gut vorstellbar, dass Entscheider noch einmal bestärkt werden, in diese Richtung zu denken, zumal es bereits Unternehmen wie Microsoft gibt, die sich stärker so ausrichten. An dieser Stelle nur zwei Einwürfe:
Können Messenger dieses Dilemma lösen? Eventuell teilweise. Facebook hat den eigenen Messenger in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt, was an sich schon eine Aussage in sich trägt. Schon heute sind Messenger Bots Teil vieler Facebook-Seiten. Zudem entwickeln immer mehr Marken Messenger-Angebote bspw. über WhatsApp. So lange diese Messenger Kommunikation nicht algorithmisch gesteuert wird, wird das Problem einer Reichweitenbeschränkung umgangen. Die Sensibilität von Nutzern, mit Marken über Messenger und damit Push-getrieben zu kommunizieren, ist aber groß. Marken werden also nur einen Bruchteil der gesamten Nutzerschar in diese Messenger-Angebote bewegen können.
Zudem bleibt die Frage, wie Nutzer damit umgehen, wenn sie sich mit mehreren Marken über Messenger verbinden und dann täglich mehrere Notifications auf Ihr Smartphone gespielt bekommen. Es ist gut vorstellbar, dass eine schnelle Ermüdung eintritt, die früher oder später zum Tod dieser Gattung zumindest als breites Marketinginstrument führen würde.
Vor allem aber – und das ist ein wesentlicher Unterschied – ist die Messenger-Kommunikation eine Push-Kommunikation. Die Marke baut eine Verbindung zum Nutzer auf. Vorrangig kommuniziert dann Marke mit Nutzer one-way. Nutzer untereinander kommunizieren nicht miteinander, es entstehen keine viralen Effekte, keine öffentlichen Image-Dimensionen. Dies müssen Messenger auch nicht leisten. Es ist nur wichtig zu sehen, dass Messenger eine andere Form der Kommunikation sind als das, was bisher über Fanpages oder auch in Facebook-Gruppen passiert.
In der Konsequenz all der oben genannten Argumente müssen Marken noch konsequenter als bisher darüber nachdenken, wie sie die Kommunikation alternativ zu Facebook wieder stärker in die eigene Hand nehmen – sprich auf eigene Plattformen verlagern können. Bei den Facebook Gruppen ist schon angeklungen, dass Marken diese ebenso auch auf eigenen Plattformen aufbauen können. Im Bereich Kundenservice verfügt nahezu jede Telko-Company heute schon über eine eigene Community. Es ist davon auszugehen, dass diese Communities im digitalen Marketing-Mix mehr Gewicht bekommen werden.
Trend 1: Eigene Brand Communities: Wenn Marken über Facebook keine reichweitenstarken Communities mit öffentlicher Wirkung aufbauen können, dann werden sie versuchen, diese Communities an einem anderen, einem eigenen Ort zu versammeln. Dies zieht dann auch Suchmaschinen-Effekte nach sich und macht eine Tür mehr auf im Vergleich zur eher geschlossenen Facebook-Welt. Der Weg geht hin zu echten Brand Communities, bei denen Service nur noch ein Teil des Angebots ist.
Trend 2: Digital Publishing
Mark Zuckerberg sagt im neuesten Statement ganz klar, dass Content ohne Engagement auf Facebook kaum noch eine Chance hat. Für das digitale Publishing bedeutet dies: Es gibt keinen Grund mehr, dieses Publishing zentral auf Facebook zu verlagern. Vielmehr müssen Marken auch mit Blick auf Google schauen, ein Digital Home Home für ihr Publishing aufzubauen und Facebook eher als Satelliten für die Übertragung dieser Inhalte zu nutzen. Dies dann stärker auch über Paid Social.
Trend 3: Das Revival der E-Mail-Kommunikation: Unternehmen haben wie Facebook das Ziel, Nutzerdaten zu generieren. Was Stand heute schon da ist: Eine CRM-Datenbank mit E-Mail-Adressen. Über Brand Communities können Marken weitere Nutzeridentitäten generieren und mehr Insights in das eigene CRM einspielen. Sie umgehen damit auch das Datenschutzproblem zwischen Facebook und dem eigenen CRM. Ein Teil der Antworten auf die Facebook-Entwicklung liegt in intelligenteren Newslettern mit besserer Segmentierung und somit mehr Relevanz und Personalisierung.
Trend 4: Customer Journey Management: Wenn Facebook nur noch einer von mehreren Kanälen mit einer spezifischen Rolle im digitalen Ökosystem einer Marke ist, dann stellt sich die Frage, wie diese Rolle definiert ist und wie die Plattform in dieses Ökosystem eingebettet ist. Unternehmen werden mehr als bisher ein Customer Journey Design entwickeln müssen, um sich selbst klar zu werden, worauf man innerhalb von Facebook zukünftig setzen möchte und was an Funktionalitäten auf Owned Media verlagert wird. In diesem Kontext muss besonders das Thema Nutzerdaten und Datentransfer gesehen werden.
Zumindest in Deutschland spricht an dieser Stelle viel für eine Bewegung hin zu Owned Media, wenn kostenlose Reichweiten obsolet sind.
Die BEEF4BRANDS IV beschäftigt sich am 6. Juni 2018 in München unter dem Motto "Day after Facebook" mit den Konsequenzen der neuerlichen Änderungen auf Facebook.
Infos auf www.beef4brands.com
Die neuesten Entwicklungen überraschen nicht wirklich und werden Facebook vermutlich weitere steigende Werbeerlöse bescheren. Gleichzeitig werden Unternehmen bzw. Marken Owned Media Channels stärker in Richtung Publishing und/oder Community Plattform entwickeln und schauen, dass sie die dialoggetriebene Kommunikation von Facebook hin auf diese Angebote verlagert. Messenger werden einen Bedeutungsschub als spezifisches und zusätzliches Marketinginstrument erfahren. Das Influencer Marketing wird mittelfristig eher leiden als profitieren.
Entscheidend für Marken wird sein, ein ganzheitliches Experience Design für die eigenen Zielgruppen zu entwickeln, in dem die Plattformen und Kontaktpunkte mit klarer Ausrichtung versehen und logisch in einer Customer Journey eingebettet sind. Im Rahmen eines solchen Experience Designs wäre dann auch die Rolle von Facebook samt seiner Möglichkeiten für das digitale Marketing zu definieren.
Autor: Christian Henne
Bildnachweis: Headergrafik von Adrei Lacatusu "Social Decay (www.facebook.com/talenthousefans/posts/10156912098744186)